Brief zum Schuljahresbeginn 2019/20

Brief zum Schuljahresbeginn 2019/20

Liebe Eltern und Elternbeiräte,
liebe Schulleitungen, Lehrerinnen und Lehrer,
liebe Schülerinnen und Schüler,

zum Schuljahresbeginn wollen wir in diesem Brief einige Themen reflektieren, die im laufenden Jahr den Kreiselternbeirat, Schulen und Schulpolitik beschäftigen. In vielen dieser Themen steckt die Frage nach aktuellen Veränderungen und der Zukunftsfähigkeit des Bildungssystems. Eine Schule, die den alten Vorwurf „Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir“ (Seneca) widerlegen will, muss sich der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler stellen. Diese Lebenswirklichkeit weicht in vielem von den eigenen Erfahrungen der jetzigen Eltern und Lehrergeneration ab. Das macht es nicht immer leicht, diesem Anspruch gerecht zu werden.

Schule ist ein Spiegel der Gesellschaft, die allgegenwärtigen Veränderungsprozesse prägen bereits den schulischen Alltag. Das Schulsystem reagiert aber auf diese Prozesse häufig erst mit Verzögerung. Bestenfalls sollte Schule unsere Kinder auf künftige Veränderungen vorbereiten, im Idealfall selbst eine Vorreiterrolle einnehmen. Im Schulstreik der Fridays for Future Bewegung steckt auch der Vorwurf, dass Schule genau dies nicht immer tut. 

Fridays for Future

Die Fridays for Future Bewegung mit ihrem Aufruf, endlich dem Klimawandel aktiv zu begegnen, richtet sich nicht nur an „die Politik“, sondern an die gesamte Generation in aktueller Verantwortung einschließlich Eltern- und Lehrerschaft. Die Hartnäckigkeit dieses Protestes speist sich wohl auch aus dem Frust darüber, dass Problembeschreibungen und Lösungsansätze, die seit Jahrzehnten auf dem Tisch liegen, schlicht ignoriert, im praktischen Handeln sogar konterkariert werden. Verstärkt wird dieser Frust durch die hilflose Reaktion aus Politik, Schulverwaltung und Schulleitungen, „Schuleschwänzen dürfe man aber doch nicht“. Ein Rückzug auf formale Fragen, um einer inhaltlichen Auseinandersetzung auszuweichen. Das Thema Klimawandel böte viele Ansätze zur fächerübergreifenden Thematisierung und Diskussion innerhalb des Unterrichtes: von den Naturwissenschaften, über Politik und Wirtschaft bis hin zu ethischen Fragestellungen. Ein solcherart vernetzter und interdisziplinärer Ansatz würde sicherlich auch künftigen Lebensanforderungen an die Schülerinnen und Schüler gerecht.

Digitalisierung

Nach langer Diskussion wurde Anfang des Jahres der DigitalPakt Schule verabschiedet. Er stellt Bundesmittel für den Ausbau der digitalen Infrastruktur an den Schulen bereit. Dieser Ausbau ist überfällig und die bereitgestellten Mittel nur ein erster Schritt zu einer zeitgemäßen Schulausstattung. Schnelles Internet und Whiteboards in den Klassenzimmern sind allerdings nur die Werkzeuge für „die Digitalisierung“ in der Schule. Viel wichtiger scheint uns aber, das Schlagwort „Digitalisierung“ für Schule und Unterricht auch mit Inhalten zu füllen. Lehrpläne und Ausbildung der Lehrkräfte bieten hier bisher noch keine systematischen Ansätze. Diese Unsicherheit gegenüber „der Digitalisierung“ ist allerdings nicht allein ein schulisches Problem. Dies spiegelten sehr deutlich auch die politischen Reaktionen auf das Video des Youtubers Rezo zur Europawahl: „darf man im Internet so etwas überhaupt?“ Wir wollen das Video hier nicht inhaltlich bewerten, es zeigt aber drei sehr konkrete Aspekte der Digitalisierung, die in der heranwachsenden Generation bereits Alltag sind: das Internet als Wissenspool für eine umfangreiche Recherche, den Einsatz digitaler Tools zur Aufbereitung der gewonnenen Informationen und die enorme Wirkmächtigkeit digitaler Medien bei der Verbreitung und Diskussion von Inhalten. Eine Reflektion dieser drei Aspekte im Unterricht ist aber noch viel zu oft abhängig vom Engagement und Wissen einzelner Lehrkräfte oder den Kollegien einzelner Schulen. 

Ganztag

Lebenswirklichkeit und -notwendigkeit in vielen Familien ist heute die Berufstätigkeit beider Elternteile oder eines alleinerziehenden Elternteils. Im Sinne der Chancengerechtigkeit für die Kinder sollte sich dies auch in der zeitlichen und inhaltlichen Ausgestaltung von Schule spiegeln. Die alte Aufgabenteilung, Bildung am Vormittag in der Schule – Erziehung und Freizeit am Nachmittag im Elternhaus, funktioniert so nicht mehr. Dies stellt Schulen – insbesondere Grundschulen – vor große strukturelle und inhaltliche Herausforderungen. Der schleppende Ausbau von ganztägigen Angeboten wird gebremst von einem Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Land („muss zuerst mehr Personal stellen“), Schulträger („muss zuerst die räumlichen Voraussetzungen schaffen“) und Schulen („müssen zuerst Konzepte entwickeln“). 
 Für das Jahr 2025 plant nun die aktuelle Bundesregierung einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder. Bereits 2001, nach den ersten Ergebnissen von PISA beschloss die Kultusministerkonferenz unter anderem „Maßnahmen zum Ausbau von schulischen und außerschulischen Ganztagsangeboten mit dem Ziel erweiterter Bildungs- und Fördermöglichkeiten […].“ Das ist jetzt 18 Jahre her (das Kind ist volljährig) – bis 2025 werden dann ein Vierteljahrhundert vergangen und die Pisa-Kinder von 2001 selbst Eltern sein.

Inklusion

Eine ähnliche Diskrepanz zwischen politischer Vorgabe und praktischer Umsetzung zeichnet sich auch beim Thema Inklusion ab. Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen aus dem Jahr 2006 trat 2009 in Deutschland in Kraft. 2012 wurden in Hessen Grundsatzziele zur Umsetzung inklusiver Bildung verabschiedet. Im Frühjahr 2019 wurde der Geschäftsbericht zur Modellregion Inklusive Bildung im Wetteraukreis (2013–2018) vorgelegt. Dieser bildet vor allem statistische, quantitative Entwicklungen ab. Bisher gibt es keine systematische qualitative Evaluierung der Modellregion. Viele Lehrkräfte und Schulen klagen über Probleme und Überforderung bei der Umsetzung der Inklusion. Sie fühlen sich vor Ort von Land und Schulträger alleingelassen, nur unzureichend ausgebildet und ausgestattet. Das Projekt „Inklusion“ stellt – ernstgenommen – einen grundlegenden Umbau des Schulsystems dar. Dieser Umbau erfordert auch eine grundlegende Überarbeitung von Unterrichts-, Personal- und Raumkonzepten, verbunden mit der Aufstockung der dafür notwendigen Ressourcen. Erfolgreich kann dies nur im konstruktiven Dialog zwischen allen Schulverantwortlichen geschehen. 

Qualität und Vergleichbarkeit von Schulabschlüssen, „Zentralabitur“

Auch in diesem Jahr gab es wieder Diskussionen über das Zentralabitur in Hessen und den gemeinsamen Abitur-Aufgabenpool mit dem Ziel bundesweiten vergleichbarer Schulabschlüsse. Eine Qualitätssicherung erst bei den Abschlussprüfungen der Schülerinnen und Schüler zu starten, greift jedoch zu kurz. Die Basis für eine echte Vergleichbarkeit muss bereits im erteilten Unterricht gelegt werden. Erfahrungsberichte von Schülern und Eltern zeigen jedoch, dass hier regelmäßig Inhalte auf der Strecke bleiben. Auch von Arbeitgebern und Hochschulen wird häufig beklagt, dass Schulabgängern grundlegende Qualifikationen für Ausbildung und Studium fehlen. Die zunehmende Tendenz der Schülerinnen und Schüler zum Abitur dokumentiert gleichzeitig Zweifel an der Qualifikation durch andere (gefühlt „schlechtere“) Schulabschlüsse. Hier muss auch eine Weiterentwicklung von Haupt-, Real- und berufsbildenden Schulen erfolgen, um weiterhin zukunftsträchtige Alternativen zum Abitur bereitzustellen.

Unterrichtsversorgung und Lehrerausstattung

Ohne ausreichende Personalausstattung können Schulen auch keinen ausreichenden Unterricht gewährleisten. Die vom hessischen Kultusministerium immer wieder angeführte „105-prozentige Unterrichtsversorgung“ sehen wir nur bedingt als aussagekräftig an. Sie dokumentiert nicht den erteilten Unterricht im Vergleich zum Soll der Lehrpläne. Die entscheidende Fragestellung müsste hier sein: welche Fachstunden werden tatsächlich vor den Schülerinnen und Schülern gehalten? Nach Abzug von Stundenausfällen, fachfremden Vertretungen oder reiner Beaufsichtigung ohne Arbeitsaufträge. Versuche von Landesschülervertretung und Landeselternbeirat, hierzu verlässliche Daten zu bekommen, liefen bisher ins Leere. Argumente dagegen reichen vom hohen Arbeitsaufwand über den Datenschutz bis zur Vermeidung von Rankings unter den Schulen. In anderen Bundesländern sind solche Erhebungen allerdings durchaus möglich. 

Auch Kultusministerium und Schulen sollten sich hier einer Qualitätskontrolle stellen, so wie sich auch die Schülerinnen und Schüler mit ihren Schulabschlüssen dem Vergleich in Bewerbungsverfahren für Beruf und Studium stellen müssen.

Steigende Schülerzahlen und wachsender Schulraumbedarf im Wetteraukreis

Der Wetteraukreis ist aktuell der am schnellsten wachsende Landkreis Hessens. Waren früher die Geburtenzahlen ein sicherer Indikator für die künftigen Einschulungszahlen, machen steigende Zuzüge ins Kreisgebiet diese Prognose heute immer schwieriger. Sichtbar wird dies an den überall entstehen den Neubaugebieten. Die Entwicklung für die kommenden Jahre lässt sich auch schon in den Kitas absehen. Zum Anstieg der reinen Schülerzahlen kommt noch der Mehrbedarf an Räume zur Umsetzung von Ganztagsangeboten und Inklusion, wie bereits oben beschrieben wurde. Die Erweiterung des Raumangebotes kann hier nicht allein durch Verdichtung der Schulen nach innen geschehen: durch schlichte Doppelnutzung der Räume für Unterrichts- und Freizeitangebote oder die Bebauung der vorhandenen Schulhofflächen, verbunden mit zunehmender Reduzierung von Bewegungs- und Rückzugsräumen für die Kinder. Für kindgerechte Entwicklung von Ganztagsangeboten und Inklusion wären im Gegenteil eher differenziertere Raumangebote notwendig.

Bei der Bewältigung dieser Herausforderungen bei Schulneubau, Ausbau und Sanierung hinkt der Schulträger dem Bedarf hinterher. Gründe reichen von fehlen Kapazitäten für Planung und Abwicklung beim Wetteraukreis bis zur Suche nach geeigneten Auftragnehmern. Auch die Gemeinden vor Ort stehen in der Pflicht, geeignete Flächen für die Schulentwicklung bereitzustellen.

Die Weiterentwicklung der inhaltlichen, pädagogischen Programme der Schulen ist vielfach von den räumlichen Bedingungen abhängig und stockt entsprechend. Hier besteht also dringend Handlungsbedarf.

Eine gemeinsame Aufgabe

Die Verfassung der hessischen Schulen verteilt die Verantwortung für die schulische Bildung auf das Land Hessen, die Kreise und Kommunen als Schulträger und die Schulgemeinden vor Ort. Erfolgreich ist dieses Konzept jedoch nur, wenn alle drei Verantwortungsebenen konstruktiv zusammenarbeiten und ihren eigenen Aufgabenbereichen gerecht werden.

Kultusministerium und Schulträger stehen dabei in der Pflicht, die notwendigen Rahmenbedingungen für die Arbeit an den Schulen bereitzustellen. Dieser Rahmen muss dann in den Schulgemeinden mit Inhalt und Leben gefüllt werden, von Kollegium, Schüler- und Elternschaft gemeinsam. Hierfür ist eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit in den schulischen Gremien notwendig. Die Schulen haben hier eine große Entscheidungskompetenz und Eigenverantwortung. Dies ermöglicht ihnen, Lösungen zu entwickeln, die eng am Bedarf vor Ort orientiert sind. Es ist gemeinsame Aufgabe in der Schulgemeinde, hierfür Zielsetzungen und Lösungswege zu diskutieren und zu verabschieden. 

Unsere Aufgabe als Kreiselternbeirat sehen wir darin, die Elternschaft in diesem Prozess zu unterstützen und gegenüber Kreis und Land zu vertreten. Maßstab für die Ergebnisse sollte dabei immer das Wohl und Interesse unserer Kinder sein. 

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen allen ein gutes Schuljahr 2019/20 –
vor allem aber den Wetterauer Schülerinnen und Schülern!

Thomas Seeling

(Vorsitzender des Kreiselternbeirates des Wetteraukreises)

Brief zum Schuljahresbeginn 2019/20

Liebe Eltern und Elternbeiräte,
liebe Schulleitungen, Lehrerinnen und Lehrer,
liebe Schülerinnen und Schüler,

zum Schuljahresbeginn wollen wir in diesem Brief einige Themen reflektieren, die im laufenden Jahr den Kreiselternbeirat, Schulen und Schulpolitik beschäftigen. In vielen dieser Themen steckt die Frage nach aktuellen Veränderungen und der Zukunftsfähigkeit des Bildungssystems. Eine Schule, die den alten Vorwurf „Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir“ (Seneca) widerlegen will, muss sich der Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler stellen. Diese Lebenswirklichkeit weicht in vielem von den eigenen Erfahrungen der jetzigen Eltern und Lehrergeneration ab. Das macht es nicht immer leicht, diesem Anspruch gerecht zu werden.

Schule ist ein Spiegel der Gesellschaft, die allgegenwärtigen Veränderungsprozesse prägen bereits den schulischen Alltag. Das Schulsystem reagiert aber auf diese Prozesse häufig erst mit Verzögerung. Bestenfalls sollte Schule unsere Kinder auf künftige Veränderungen vorbereiten, im Idealfall selbst eine Vorreiterrolle einnehmen. Im Schulstreik der Fridays for Future Bewegung steckt auch der Vorwurf, dass Schule genau dies nicht immer tut. 

Fridays for Future

Die Fridays for Future Bewegung mit ihrem Aufruf, endlich dem Klimawandel aktiv zu begegnen, richtet sich nicht nur an „die Politik“, sondern an die gesamte Generation in aktueller Verantwortung einschließlich Eltern- und Lehrerschaft. Die Hartnäckigkeit dieses Protestes speist sich wohl auch aus dem Frust darüber, dass Problembeschreibungen und Lösungsansätze, die seit Jahrzehnten auf dem Tisch liegen, schlicht ignoriert, im praktischen Handeln sogar konterkariert werden. Verstärkt wird dieser Frust durch die hilflose Reaktion aus Politik, Schulverwaltung und Schulleitungen, „Schuleschwänzen dürfe man aber doch nicht“. Ein Rückzug auf formale Fragen, um einer inhaltlichen Auseinandersetzung auszuweichen. Das Thema Klimawandel böte viele Ansätze zur fächerübergreifenden Thematisierung und Diskussion innerhalb des Unterrichtes: von den Naturwissenschaften, über Politik und Wirtschaft bis hin zu ethischen Fragestellungen. Ein solcherart vernetzter und interdisziplinärer Ansatz würde sicherlich auch künftigen Lebensanforderungen an die Schülerinnen und Schüler gerecht.

Digitalisierung

Nach langer Diskussion wurde Anfang des Jahres der DigitalPakt Schule verabschiedet. Er stellt Bundesmittel für den Ausbau der digitalen Infrastruktur an den Schulen bereit. Dieser Ausbau ist überfällig und die bereitgestellten Mittel nur ein erster Schritt zu einer zeitgemäßen Schulausstattung. Schnelles Internet und Whiteboards in den Klassenzimmern sind allerdings nur die Werkzeuge für „die Digitalisierung“ in der Schule. Viel wichtiger scheint uns aber, das Schlagwort „Digitalisierung“ für Schule und Unterricht auch mit Inhalten zu füllen. Lehrpläne und Ausbildung der Lehrkräfte bieten hier bisher noch keine systematischen Ansätze. Diese Unsicherheit gegenüber „der Digitalisierung“ ist allerdings nicht allein ein schulisches Problem. Dies spiegelten sehr deutlich auch die politischen Reaktionen auf das Video des Youtubers Rezo zur Europawahl: „darf man im Internet so etwas überhaupt?“ Wir wollen das Video hier nicht inhaltlich bewerten, es zeigt aber drei sehr konkrete Aspekte der Digitalisierung, die in der heranwachsenden Generation bereits Alltag sind: das Internet als Wissenspool für eine umfangreiche Recherche, den Einsatz digitaler Tools zur Aufbereitung der gewonnenen Informationen und die enorme Wirkmächtigkeit digitaler Medien bei der Verbreitung und Diskussion von Inhalten. Eine Reflektion dieser drei Aspekte im Unterricht ist aber noch viel zu oft abhängig vom Engagement und Wissen einzelner Lehrkräfte oder den Kollegien einzelner Schulen. 

Ganztag

Lebenswirklichkeit und -notwendigkeit in vielen Familien ist heute die Berufstätigkeit beider Elternteile oder eines alleinerziehenden Elternteils. Im Sinne der Chancengerechtigkeit für die Kinder sollte sich dies auch in der zeitlichen und inhaltlichen Ausgestaltung von Schule spiegeln. Die alte Aufgabenteilung, Bildung am Vormittag in der Schule – Erziehung und Freizeit am Nachmittag im Elternhaus, funktioniert so nicht mehr. Dies stellt Schulen – insbesondere Grundschulen – vor große strukturelle und inhaltliche Herausforderungen. Der schleppende Ausbau von ganztägigen Angeboten wird gebremst von einem Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Land („muss zuerst mehr Personal stellen“), Schulträger („muss zuerst die räumlichen Voraussetzungen schaffen“) und Schulen („müssen zuerst Konzepte entwickeln“). 
 Für das Jahr 2025 plant nun die aktuelle Bundesregierung einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder. Bereits 2001, nach den ersten Ergebnissen von PISA beschloss die Kultusministerkonferenz unter anderem „Maßnahmen zum Ausbau von schulischen und außerschulischen Ganztagsangeboten mit dem Ziel erweiterter Bildungs- und Fördermöglichkeiten […].“ Das ist jetzt 18 Jahre her (das Kind ist volljährig) – bis 2025 werden dann ein Vierteljahrhundert vergangen und die Pisa-Kinder von 2001 selbst Eltern sein.

Inklusion

Eine ähnliche Diskrepanz zwischen politischer Vorgabe und praktischer Umsetzung zeichnet sich auch beim Thema Inklusion ab. Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen aus dem Jahr 2006 trat 2009 in Deutschland in Kraft. 2012 wurden in Hessen Grundsatzziele zur Umsetzung inklusiver Bildung verabschiedet. Im Frühjahr 2019 wurde der Geschäftsbericht zur Modellregion Inklusive Bildung im Wetteraukreis (2013–2018) vorgelegt. Dieser bildet vor allem statistische, quantitative Entwicklungen ab. Bisher gibt es keine systematische qualitative Evaluierung der Modellregion. Viele Lehrkräfte und Schulen klagen über Probleme und Überforderung bei der Umsetzung der Inklusion. Sie fühlen sich vor Ort von Land und Schulträger alleingelassen, nur unzureichend ausgebildet und ausgestattet. Das Projekt „Inklusion“ stellt – ernstgenommen – einen grundlegenden Umbau des Schulsystems dar. Dieser Umbau erfordert auch eine grundlegende Überarbeitung von Unterrichts-, Personal- und Raumkonzepten, verbunden mit der Aufstockung der dafür notwendigen Ressourcen. Erfolgreich kann dies nur im konstruktiven Dialog zwischen allen Schulverantwortlichen geschehen. 

Qualität und Vergleichbarkeit von Schulabschlüssen, „Zentralabitur“

Auch in diesem Jahr gab es wieder Diskussionen über das Zentralabitur in Hessen und den gemeinsamen Abitur-Aufgabenpool mit dem Ziel bundesweiten vergleichbarer Schulabschlüsse. Eine Qualitätssicherung erst bei den Abschlussprüfungen der Schülerinnen und Schüler zu starten, greift jedoch zu kurz. Die Basis für eine echte Vergleichbarkeit muss bereits im erteilten Unterricht gelegt werden. Erfahrungsberichte von Schülern und Eltern zeigen jedoch, dass hier regelmäßig Inhalte auf der Strecke bleiben. Auch von Arbeitgebern und Hochschulen wird häufig beklagt, dass Schulabgängern grundlegende Qualifikationen für Ausbildung und Studium fehlen. Die zunehmende Tendenz der Schülerinnen und Schüler zum Abitur dokumentiert gleichzeitig Zweifel an der Qualifikation durch andere (gefühlt „schlechtere“) Schulabschlüsse. Hier muss auch eine Weiterentwicklung von Haupt-, Real- und berufsbildenden Schulen erfolgen, um weiterhin zukunftsträchtige Alternativen zum Abitur bereitzustellen.

Unterrichtsversorgung und Lehrerausstattung

Ohne ausreichende Personalausstattung können Schulen auch keinen ausreichenden Unterricht gewährleisten. Die vom hessischen Kultusministerium immer wieder angeführte „105-prozentige Unterrichtsversorgung“ sehen wir nur bedingt als aussagekräftig an. Sie dokumentiert nicht den erteilten Unterricht im Vergleich zum Soll der Lehrpläne. Die entscheidende Fragestellung müsste hier sein: welche Fachstunden werden tatsächlich vor den Schülerinnen und Schülern gehalten? Nach Abzug von Stundenausfällen, fachfremden Vertretungen oder reiner Beaufsichtigung ohne Arbeitsaufträge. Versuche von Landesschülervertretung und Landeselternbeirat, hierzu verlässliche Daten zu bekommen, liefen bisher ins Leere. Argumente dagegen reichen vom hohen Arbeitsaufwand über den Datenschutz bis zur Vermeidung von Rankings unter den Schulen. In anderen Bundesländern sind solche Erhebungen allerdings durchaus möglich. 

Auch Kultusministerium und Schulen sollten sich hier einer Qualitätskontrolle stellen, so wie sich auch die Schülerinnen und Schüler mit ihren Schulabschlüssen dem Vergleich in Bewerbungsverfahren für Beruf und Studium stellen müssen.

Steigende Schülerzahlen und wachsender Schulraumbedarf im Wetteraukreis

Der Wetteraukreis ist aktuell der am schnellsten wachsende Landkreis Hessens. Waren früher die Geburtenzahlen ein sicherer Indikator für die künftigen Einschulungszahlen, machen steigende Zuzüge ins Kreisgebiet diese Prognose heute immer schwieriger. Sichtbar wird dies an den überall entstehen den Neubaugebieten. Die Entwicklung für die kommenden Jahre lässt sich auch schon in den Kitas absehen. Zum Anstieg der reinen Schülerzahlen kommt noch der Mehrbedarf an Räume zur Umsetzung von Ganztagsangeboten und Inklusion, wie bereits oben beschrieben wurde. Die Erweiterung des Raumangebotes kann hier nicht allein durch Verdichtung der Schulen nach innen geschehen: durch schlichte Doppelnutzung der Räume für Unterrichts- und Freizeitangebote oder die Bebauung der vorhandenen Schulhofflächen, verbunden mit zunehmender Reduzierung von Bewegungs- und Rückzugsräumen für die Kinder. Für kindgerechte Entwicklung von Ganztagsangeboten und Inklusion wären im Gegenteil eher differenziertere Raumangebote notwendig.

Bei der Bewältigung dieser Herausforderungen bei Schulneubau, Ausbau und Sanierung hinkt der Schulträger dem Bedarf hinterher. Gründe reichen von fehlen Kapazitäten für Planung und Abwicklung beim Wetteraukreis bis zur Suche nach geeigneten Auftragnehmern. Auch die Gemeinden vor Ort stehen in der Pflicht, geeignete Flächen für die Schulentwicklung bereitzustellen.

Die Weiterentwicklung der inhaltlichen, pädagogischen Programme der Schulen ist vielfach von den räumlichen Bedingungen abhängig und stockt entsprechend. Hier besteht also dringend Handlungsbedarf.

Eine gemeinsame Aufgabe

Die Verfassung der hessischen Schulen verteilt die Verantwortung für die schulische Bildung auf das Land Hessen, die Kreise und Kommunen als Schulträger und die Schulgemeinden vor Ort. Erfolgreich ist dieses Konzept jedoch nur, wenn alle drei Verantwortungsebenen konstruktiv zusammenarbeiten und ihren eigenen Aufgabenbereichen gerecht werden.

Kultusministerium und Schulträger stehen dabei in der Pflicht, die notwendigen Rahmenbedingungen für die Arbeit an den Schulen bereitzustellen. Dieser Rahmen muss dann in den Schulgemeinden mit Inhalt und Leben gefüllt werden, von Kollegium, Schüler- und Elternschaft gemeinsam. Hierfür ist eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit in den schulischen Gremien notwendig. Die Schulen haben hier eine große Entscheidungskompetenz und Eigenverantwortung. Dies ermöglicht ihnen, Lösungen zu entwickeln, die eng am Bedarf vor Ort orientiert sind. Es ist gemeinsame Aufgabe in der Schulgemeinde, hierfür Zielsetzungen und Lösungswege zu diskutieren und zu verabschieden. 

Unsere Aufgabe als Kreiselternbeirat sehen wir darin, die Elternschaft in diesem Prozess zu unterstützen und gegenüber Kreis und Land zu vertreten. Maßstab für die Ergebnisse sollte dabei immer das Wohl und Interesse unserer Kinder sein. 

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen allen ein gutes Schuljahr 2019/20 –
vor allem aber den Wetterauer Schülerinnen und Schülern!

Thomas Seeling

(Vorsitzender des Kreiselternbeirates des Wetteraukreises)

KrEB-Redaktion

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